EMPATHIA³ Projekt Scientia

Polizei und Lehrkräfte gegen Antisemitismus professionalisieren

Staatsbedienstete sollen Antisemitismus entgegenwirken, werden darauf aber bisher kaum ausreichend vorbereitet. Ein neuer Forschungsverbund befasst sich nun mit dieser Thematik.

Über welches Wissen sollten künftige Staatsbedienstete im Schul- und Polizeidienst verfügen, um Antisemitismus in ihrem Arbeitsumfeld aktiv entgegenwirken zu können? Und wie kann ihr Wissensstand zum Thema, mit dem auch individuelle Einstellungen verbunden sind, erhoben und gemessen werden? Welche Art von Argumentationstraining kann dazu beitragen, die notwendigen Fähigkeiten der Zielgruppe schon während der Ausbildung zu professionalisieren? Diesen Fragen widmet sich das interdisziplinäre Team des Forschungsverbundes EMPATHIA³ unter Leitung von Prof. Dr. Nicola Brauch, Geschichtsdidaktikerin an der Ruhr-Universität Bochum (RUB). Als eines von zehn bundesweiten Vorhaben wird er vom Bundesforschungsministerium in der Förderline „Aktuelle Dynamiken und Herausforderungen des Antisemitismus“ für vier Jahre gefördert. Das Tikvah Institut gUG leistet mit SCIENTIA – Jüdisches Leben respektvoll wahrnehmen & aktuelle Antisemitismen lesen und erkennen können – seinen Beitrag. Anfang Oktober 2021 beginnt der Verbund seine Forschungsarbeit.

Foto: © Michael Schwettmann v.l.n.r.: Prof. Dr. Alexandra Cuffel, Ulf Plessentin (beide CERES/RUB),
Prof. Dr. Nicola Brauch (Geschichtsdidaktik/RUB), Volker Beck (Tikvah Institut), Dr. Sarah J. Jahn (HSPV),
Dr. Marcel Mierwald (Geschichtsdidaktik/RUB), Jonna-Margarethe Mäder (CERES/RUB)

Antisemitismus erkennen

Antisemitismus ist in der Schule und in der Öffentlichkeit ein verbreitetes Phänomen. Staatsbediensteten wie Lehrkräften und der Polizei kommt die Aufgabe zu, bei Antisemitismus zu intervenieren. Aber um Beweggründe und Ziele von Taten überhaupt als antisemitisch deuten zu können, benötigen diese Berufsgruppen thematisches Wissen: Welche Argumentationsmuster werden zur Untermauerung von antisemitischen Positionen benutzt? Welche Verbindungen weisen beispielsweise Pandemie-Verschwörungsmythen zum Antisemitismus auf? Welche Emoji-Symbole werden in jüngster Zeit antisemitisch benutzt? Es gilt daher, künftige Staatsbedienstete bestmöglich auf den Kontakt mit den verschiedenen Formen des Antisemitismus vorzubereiten.

Hier setzt das Projekt „Empowering Police Officers and Teachers in Arguing Against Antisemitism“ (EMPATHIA³) an: Das Team entwickelt, implementiert und evaluiert ein Kerncurriculum für die Ausbildung künftiger Polizist*innen und Lehrer*innen, damit diese präventiv und repressiv Antisemitismus begegnen können. Dazu werden im Rahmen eines psychometrisch abgesicherten digitalen Large-Scale-Tests zuerst die Einstellungen und das Wissen zu den Themen Antisemitismus und jüdisches Leben von den Zielgruppen erfasst. So kann das Curriculum besser zugeschnitten werden. Darüber hinaus lernen die Polizei- und Lehrkräfte, wie sie bei Antisemitismus angemessen intervenieren.

Ausbildung bereitet bisher kaum vor

„Die Politik ist nach antisemitischen Vorfällen mit dem Ruf nach Reaktionen von Polizei und Schule schnell dabei. Kaum wird gefragt, wann und wo Polizist:innen und Lehrer:innen die Fähigkeiten und Kenntnisse erwerben, um diesem Ruf gerecht werden zu können,“ sagt Volker Beck, Geschäftsführer des Tikvah Institut gUG.

Für Verbundleiterin Prof. Dr. Nicola Brauch liegt darin die besondere Herausforderung: „Historisches Orientierungswissen bleibt träge, wenn es sich nicht mit Wissen über gegenwärtige Erscheinungsformen von Antisemitismus verbindet. Doch gerade diese Verbindung scheint vielen Lehrkräften und Polizist*innen in ihrem Arbeitsalltag schwer zu fallen. Das ist wenig verwunderlich, denn in der Ausbildung wird bislang kaum auf den Umgang mit kritischen Vorfällen und Präventionsarbeit vorbereitet. An dieser Schnittstelle von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft setzt unser interdisziplinäres Projekt an. Ausgehend von einer empirischen Erforschung aktueller Erscheinungsformen von Antisemitismus, werden wir ein basales Curriculum und ein daran orientiertes Argumentationstraining für unsere Zielgruppen erarbeiten und evaluieren.“

Kooperationspartner

Am Verbundprojekt EMPATHIA³ sind von der Ruhr-Universität Bochum die Geschichtsdidaktikerin Prof. Dr. Nicola Brauch von der Fakultät für Geschichtswissenschaften und die Judaistin Prof. Dr. Alexandra Cuffel vom Centrum für Religionswissenschaftliche Studien (CERES) beteiligt. Am Verbund beteiligte Partner sind außerdem das Hector Institut für Empirische Bildungsforschung der Universität Tübingen (Prof. Dr. Ulrich Trautwein), das Zentrum für Prävention und Intervention im Kindes- und Jugendalter der Universität Bielefeld (Dr. Marc Grimm), die Hochschule für Polizei und Öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen in Gelsenkirchen (Dr. Sarah Jahn). Das Tikvah Institut gUG Berlin (Volker Beck, Deidre Berger) ist als zivilgesellschaftlicher Partner in die Forschung aktiv eingebunden. Durch ihre unterschiedlichen disziplinären Zugänge zum Thema verknüpfen die Partner in ihrer gemeinsamen Arbeit Grundlagenforschung mit anwendungsorientierter Forschung. Das Projekt hat einen Beirat und zahlreiche Praxispartner aus Zivilgesellschaft, Polizei- und Lehrerbildung. Die Forschungsarbeit wird dadurch von jüdischen Institutionen, Polizei- und Lehrerverbände begleitet.

Scientia – Jüdisches Leben respektvoll wahrnehmen & aktuelle Antisemitismen lesen und erkennen können

Nach antisemitischen Vorfällen wird oft schnell die Forderung laut, die Polizei müsse die roten Linien aufzeigen und die Schule müsse mit Bildung und pädagogischen Interventionen präventiv und wertebildend wirken.
Selten wird die Frage gestellt, was Polizist*innen und Lehrer*innen mitbringen, um das Gewünschte leisten zu können und wann sie das notwendige Wissen in ihrer Ausbildung vermittelt bekamen. Dieser Fragestellung wird sich unser Projekt wissenschaftlich zuwenden.

Verbundprojekt Emphatia³

Das Tikvah-Projekt „Scientia“ ist ein Teilprojekt des Verbundforschungsprojektes EMPATHIA³, das vom Bundesforschungsministerium für vier Jahre gefördert wird. Der Verbund erstreckt sich über sechs Projektpartner an vier Universitäten. Das Tikvah Institut gUG ist ein gleichberechtigter Forschungsprojektpartner an der Schnittstelle zur Zivilgesellschaft.

EMPATHIA³ professionalisiert angehende Polizist*innen und Lehrer*innen im Umgang mit Antisemitismus. Dazu entwickelt, implementiert, und evaluiert das Projekt ein Kerncurriculum zur Antisemitismusprävention und -repression, einen digitalen Test zur Erfassung von Wissen und Einstellungen und ein gemeinsames Kursprogramm für die Zielgruppen.

Verbundprojekt EMPATHIA³

Der Titel des Verbundprojektes steht für EMpowering Police officers And TeacHers IArguing 
Against Antisemitism

Projektlaufzeit

Das Projekt „Scientia“  wird wie alle Teilprojekte des EMPATHIA³-Verbundes vier Jahre gefördert. Es startet im Oktober 2021.

Die Förderline des BMBF

Das Verbundprojekt wird in der Förderline „Aktuelle Dynamiken und Herausforderungen des AntisemitismusAktuelle Dynamiken und Herausforderungen des Antisemitismus“ vom Bundesforschungsministerium gefördert.

Kooperationspartner im Verbundprojekt Empathia³: